Ich erinnere hier an die vor 100 Jahren entstandene Situation: Im November 1918 hatte Deutschland kapituliert; seine Truppen waren im finnischen Bürgerkrieg aktiv gewesen, in der Nachfolge der so genannten "Ostsee-Division" zurückgezogen worden und gingen dann in der Freikorpsbewegung von Deutsch-Balten im Kampf gegen Bolschewiki auf. Im Februar 1919 übernahm Gen.Maj. Rüdiger Graf v. d. Goltz (vorher "Deutscher General in Finnland" - Bezeichnung seines Divisionsstabes dort) in Libau (Lettland) ein Militärgouvernorat und wurde als "Kommandierender General des VI. Reservekorps" Befehlshaber deutscher und baltischer Einheiten in bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Lettland.
Wikipedia schreibt dazu:"Am 1. Februar 1919 wurde von der Goltz Militärgouverneur von Libau (Lettland) und wenig später auch Kommandierender General des VI. Reserve-Korps. Das Korps führte reguläre Einheiten, Freikorps und einheimische Truppen lettischer, russischer und baltendeutscher Nationalität in einem vielschichtigen, bürgerkriegsähnlichen Konflikt gegen die Armee Rätelettlands (vgl. Lettischer Unabhängigkeitskrieg). Es bedurfte alliierter Sanktionsmaßnahmen (u. a. Ostseesperrung für deutsche Schiffe), damit von der Goltz, wie von Esten, Letten und Teilen der Reichswehr gefordert, das Kommando über seine Truppen, die sich der standrechtlichen Erschießung einiger Tausend Letten schuldig gemacht hatten, am 12. Oktober 1919 abgab."

Ich denke hier an meinen Großvater, für den der Krieg damals auch noch nicht endete: Er erwähnte zwar nicht, mit welcher Motivation er als sächsischer Pionier-Unteroffizier dort mitlief (der "Ostsee-Division" gehörten auch sächsische Truppenteile an), aber er erzählte mir seinerzeit, dass er "mit von der Goltz" im Baltikum gekämpft hätte.

Dass der 1. Weltkrieg mit seinen Folgen und Ausläufern für einige nicht etwa "schon" 1918 endete, sondern sich noch bis in die 20er hinzog, geht manchmal unter, aber die anschließenden Bürgerkriege in manchen auch nichteuropäischen Gefilden sind oft ziemlich nahtlose Fortsetzungen des Kriegs unter Ausnutzung der dadurch entstandenen Umstände gewesen.

OldMan

Der Bürgerkrieg in Russland nach der Oktoberrevolution ist in gewisser Weise auch Fortsetzung des Weltkrieges, nicht nur, weil die Entente und die Amerikaner ebenso wie die Japaner in Russland als Okkupationsstreitkräfte einfielen, sondern weil sowohl die Rote Armee als auch die Truppenteile der verschiedenen "weißen Machthaber" auf die Erfahrung von Millionen Muschiks als Soldaten der zaristischen Armee zurück griffen: Für manche ging der Kampf (nun in andere Richtungen) nahtlos weiter. Dazu kam, dass in den riesigen Gefangenenlagern in Russland "Internationalisten" rekrutiert (teilweise mit Zwang) wurden: Verschiedene nationalistische Kräfte (Tschechen vor allem), die sich von Rot oder Weiß nationale Unabhängigkeit erhofften, andere, die einfach aus dem Kriegsgefangenenstatus heraus wollten... Insofern ist der Krieg im Baltikum und in Finnland nur ein Teil der Kampfhandlungen weiters in Russland gewesen.
Und weil wir bei den Balten sind: Da fällt mir Roman von Ungern-Sternberg ein, baltischer Adel, der den Krieg bis zur Mongolei trug, von Semjonow als Gen.Maj. installiert und vom geistigen Oberhaupt der Mongolen zuum "Khan" ernannt, errichtete er ein weißes Schreckensregime (bis er 1921 in Tschita von den Roten -zu Recht!- erschossen wurde).

Übrigens, auch in Afrika ging es weiter (Rif-Krieg) und da gab es sogar Deutsche, die aus der Fremdenlegion desertiert waren...

OldMan

Vor 100 Jahren erfolgte Evakuierung der "Tschechoslowakischen Legion" in Wladiwostok und Repatriierung: Hier ein interessanter NZZ-Artikel mit Fotografien dazu.

Vor einiger Zeit (2019) sah ich in der Dreikönigskirche in Dresden eine Soinderausstelung mit Bild-Tafeln und Erläuterungen dazu, die (wimre) von der tschechischen Botschaft organisiert war. Es ging um Masaryk und die Gründung der Tschechoslowakei (1919) und zeigte auch den "Anteil" der "Legion", die (mehr oder minder) von Frankreich gesteuert, gegen die Mittelmächte kämpfen sollte und dies auch teilweise bis zum Frieden von Brest-Litowsk tat. Danach wandelte sie sich immer mehr in ein Instrument der "Weißen". Allerdings sah man immer seinen eigenen Vorteil und schlußendlich lieferte man auch Koltschak, den "Zaren" Sibiriens, den Roten aus, um freien Durchzug zu erhalten.
Vielleicht kennt jemand den Roman von Dwinger ("Zwischen Rot und Weiß"), der zwar tendenziös zugunsten Deutscher, die auf der weißen Seite (wimre Koltschak) kämpften, aber die Zustände nach allem, was ich weiß, zutreffend schilderte. Da wird den Tschechoslowaken ein bitteres Zeugnis ausgestellt.
Die tatsächlich verübten Greueltaten an der sibirischen Bevölkerung verschwieg jene Ausstellung natürlich, da war alles sehr patriotisch und euphemistisch, so dass man schon per se mißtrauisch werden konnte...

OldMan

PS. Häßlichen Verschreiber beseitigt...

Weil wir von der "Tschechoslowakischen Legion" sprachen: In diese Geschichte (und wird auch bei Dwinger erwähnt) gehört auch Elsa Brändström, der "Engel von Sibirien".
Die Legion rekrutierte sich zu großen Teilen aus den russischen Kriegsgefangenenlagern des ersten Weltkrieges, deren unhaltbare Zustände (erst recht während des Bürgerkriegs Rot gegen Weiß) zum Himmel schrien. Um den Verhältnissen dort zu entgehen, meldeten sich viele Böhmen und Slowaken sowohl in die Legion, aber auch bei durchziehenden Roten in die Rote Armee; ebenso Österreicher und Deutsche sowie Ungarn auch zu den Weißen sowohl wie zu den Roten (Beispiel: Der spätere Held es Ungarn-Aufstandes 1957, Imre Nagy, war Angehöriger der Roten Armee und dem Vernehmen nach bei der Zarenfamilien-Erschießung aktiv dabei!).
Elsa Brandström versuchte, den Insassen der russischen Lager in Sibirien zu helfen. Diese wurden naturgemäß während des Bügerkrieges von allen Seiten vernachlässigt: Man hatte anderes und mit sich zu tun. Erwiesen aber ist, dass nicht nur die Roten sondern auch die Tschechen (aus "Rache" an den Österreichern u.a.) Elsa Brandström in jeder Weise bei ihrem humanen (nicht: humanitären --> das Wort gibt es nicht wirklich: Ist eine Jounaillen-Erfindung!) Werk behinderten: Blinder Nationalismus, wie er sich auch später (nach dem 2. Weltkrieg) hier und da entlud.
Ich hatte da vor vielen Jahren noch ein Buch (außer Dwinger) über diese Dinge in Händen (und gelesen): Freiherr Paul v. Todtenwarth, "Eine tolle Flucht" (oder so ähnlich). Man kann das hier auch noch bei Wikipedia nachlesen, was den Freiherrn und sein Leben betrifft.

Soweit vielleicht ein wenig historische Ergänzung zu einem wenig bekannten Kapitel der "Nachwirkungen" des WK1.

OldMan

By the way: Auch die Polen haben sich ja nach dem 1. WK neu konstituiert: Marschall Pilsudski war übrigens der Deutschen erste Wahl als Chef eines Pufferstaates Polen (gegen Russland, passte ja mit der Attitüde dieses Herrn), wenn es auch hinauf und hinunter ging (Kann man bei Wikipedia nachlesen.). Ähnlich wie Lenin hat man ihn nach Warschau verfrachtet. Und er war dann von der Leine, wie man sich das bei den Mittelmächten gedacht hatte, gegen die Russen, vor allem dann die Roten. Der gegen die Bolschwewiki begonnene Krieg ging letztlich zwar glimpflich aus, aber vor 100 Jahren trug die Tuchatschewski-Offensive die Rote Armee bis vor Warschau. Wenn nicht das "Wunder an der Weichsel" gewesen wäre (Rückzug der Roten Armee wegen der Überdehnung der Nachschublinien und Fehlentscheidungen der militärischen Null Stalin!), wäre es vielleicht gar mit Polen geschehen gewesen. Aber auch die Franzosen hatten ein gewisses Interesse und so konnte dann 1921 Vertrag mit der Sowjetunion (hieß sie damals schon so?) gemacht und sich geeinigt werden (Vertrag von Riga 1921). Dabei spielte die so genannte Curzon-Linie eine wichtige Rolle: Sollte man mal hier nachlesen! Sie wurde bei der nach dem WK2 erfolgten "Westverschiebung" Polens die tatsächliche Ostgrenze Polens gegenüber Russland...

Die polnische Legion, die bereits 1914 den kuk.-Streitkräften angeschlossen wurde, war die Keimzelle der polnischen Armee. Auch hier wurde der erste Weltkrieg nahtlos weitergeführt. Alles nun 100 Jahre her. Übrigens wurde schon zu Zeiten der polnischen "Volksrepublik" Pilsudski (dessen Sarg im Wawel zu Krakau steht) durchaus verehrt, obwohl gelegentlich von ihm auch als "Faschist" (z.B. immer mal in der DDR) gesprochen wurde.
Ich selbst bin dafür Zeitzeuge. Im Sommer 1976 war ich als Leiter einer Studentengruppe der TU Dresden/Betriebswirtschaft in Polen unterwegs (Breslau, Krakau, Warschau); dies auf Einladung der Ökonomischen Akademie "Oskar Lange"/Wroclaw. Beim Besuch des Wawel waren wir natürlich auch in der Gruft (August den Starken besuchen). Als wir da mit unserer polnischen Begleitung standen, kamen mit Getöse drei schnauzbärtige Herren (Offizierstypen, wie man sie aus alten Filmen kennt) herein, legten bei Pilsudskis Sarg Blumen ab und sangen dann dröhnend etwas Patriotisches (wie wir vermuteten und bestätigt bekamen). Unser Begleiter (Assistent an der genannten Hochschule) verdrehte die Augen (er war selbst Kleinadeliger, wie ich wusste) und meinte, dass man das zwar nicht recht goutiere aber eben doch dulden würde.
Uns kam das seltsam vor: Klar, denn wir DDR-Deutsche hatten ja mit ungebrochener Tradition nichts am Hut.

OldMan

PS. Auch im Südosten Europas ging der Krieg weiter: Zwischen Griechenland und der Türkei. Dazu vielleicht noch später etwas.

Den Vertrag von Versailles (Mai 1919) rundeten die oft so genannten "Pariser-Vorort-Verträge" ab, so u.a. der Vertrag von Sevres (August 1920), der ein Diktatfrieden (hier klicken) war. Die Türken erkannten relativ schnell, dass das Osmanische Reich völlig zerschlagen werden sollte (viele "Randgebiete" sollten werden bzw. wurden tatsächlich unabhängige Staaten - Hedschas a.a.). Interessant ist, dass man den Kurden Aussicht auf einen selbständigen Staat machte. Besonders aber tat sich Griechenland hervor (nicht nur von daher, aber sehr viele Animositäten zwischen den heutige Staaten Griechenland und Türkei rühren von dieser Zeit her), dass die Idee einer Art "Großgriechenland" mit Teilen der anatolischen Küste im Sinne hatte... So kam es zum Krieg gegen die von Mustafa Kemal Pascha geführten türkischen (anatolischen) Nationalisten (wobei die Bezeichnung hier etwas überzogen im heutigen Sinne ist) von 1919 bis 1922 (Übrigens war die UdSSR der erste Staat, der die "National"-Türkei diplomatisch anerkannte). Er endete mit einer krachenden Niederlage der Griechen. Im Vertrag von Lausanne (1923) wurde Frieden geschlossen und ein "Austausch" von ganzen Bevölkerungsgruppen vereinbart (und dann auch durchgeführt).
Über den Griechisch-Türkischen Krieg kann man hier nachlesen.

OldMan

Heute in der NZZ: Ein Artikel zu den Auswirkungen von Sevres auf die heutige Türkei; dazu ein Blick auf Erdogan'sche Zahlen-Mystik. Ich habe den Artikel als .pdf-Datei ausgedruckt und hänge ihn an.
Man will es manchmal gar nicht recht glauben, aber: Erdogan ist gefährlich; kein Vergleich mit Politikern vergangener Jahrzehnte, mit denen ev. ein EU-Beitritt machbar gewesen wäre! Mit Erdogan geht das keinesfalls, der Mann träumt von einer nahöstlichen Großmacht Türkei und will selbst den Vertrag von Lausanne (1922) nicht anerkennen, um ja keine "Ansprüche" auf Gebiete des Osmanischen Reiches "aufzugeben". Dazu sein ideologischer Hintergrund, der dem Verständnis von Mustafa Kemal Atatürk diametral entgegensteht: Finsterster, wenn auch nicht sofort erkennbar, Islamismus.
Wer sich mit Erdogan einlässt, lässt sich mit dem Teufel ein: Auch "Realpolitik" muss hier unbedingt vorsichtig sein. Die EU sollte "russische Interessen" (seit Jahrhunderten!) akzeptieren und durch einen Schaukelkurs zwischen beiden Staaten die Türkei neutralisieren. Indem sich Erdogan dann an den Russen abarbeitet, hat er mit sich selbst zu tun...

OldMan

;-) grins: Den Vertrag von Sevres unterschrieb im Auftrage des Sultanats Hadi Pascha! @hadi hatte wohl Verwandte damals dort...? (Spaß!!!)

Am 13. August vor 100 Jahren: "Wunder an der Weichsel". Hier ein interessanter Link zu einem Artikel (auch Hintergründe).
Man muss nicht mit allen Schlussfolgerungen einverstanden sein, aber aus konservativer Sicht stimmt das schon.
Ich hatte andernorts schon oft darauf hingewiesen, dass das "Sozialistische Lager" der "Bruderstaaten" nach dem 2. Weltkrieg nichts weiter als eine Arrondierung der sowjet-russischen Großmacht war, ein Glacis für eine kommunistische Festung. Wenn man im Nachgang die Beziehungen der "Bruderstaaten" unter- und miteinander betrachtet, dann muss man sich eingestehen, dass ziemlich viel Hauen und Stechen war und oft nur das "Verteidigen nationaler Interessen", sprich: Der Interessen eines sich weit von den grundlegenden Ideen entfernt habenden Klüngels in den jeweiligen Ländern (am Schlimmsten wohl jener Rumäne damals).
Das heutige nationale Polen erklärt sich aus den "Erlebnissen" seiner Geschichte und, so sehr ich diesen Wurzelzwerg von der PiS als gefährlich und dummbetrachte, so sehr muss ich den Polen insgesamt manchmal recht geben: Die EU ist für die nur zum "Geben" da und als Ort des imaginären Schutzes vor allem und jedem; zu Gegenleistungen wird Polen NIE bereit sein. Und den Zloty behalten, denn mit den Wechselkursen können viele Polen sehr gut (!!) leben. Das wäre mit einem Schlag weg. Und die Folgen ... Nicht auszudenken.

OldMan

PS. Interessant im Artikel der Hinweis auf Funkaufklärung bzw. funkelektronischen Kampf...